
Spätdienste sind toll, da kann man ausschlafen. Und das ist nach der Liebe bekanntlich das zweitwichtigste im Leben. Wenn man erst um drei Uhr früh ins Bett gehen kann und neben einem Kindergarten wohnt, wird das mit dem Ausschlafen aber meistens nichts. Halb neun gehts auf den Spielplatz im Innenhof. Außer es regnet. Und selbst dann kann noch jemand im Geschoss unter Dir auf die Idee kommen, seine neue Schlagbohrmaschine auszutesten. Gähn.
Mein Spätdienst macht seinem Namen alle Ehre. Statt um 17.38 Uhr löse ich erst um 17.52 Uhr ab. Der Kollege erzählt mir irgendwelche Gründe, aber die lösche ich gleich wieder. Berlin um diese Uhrzeit, darüber verlieren nur Anfänger ein Wort. Es nieselt. Der Radler vor mir trägt einen Helm mit so kleinen Spiegelchen dran und sieht aus wie ein lustiges Insekt. Da muss ich mich echt drüber amüsieren. An der nächsten Haltestelle ist mein Grinsen wohl noch nicht richtig abgeklungen, denn ich werde angeblafft: „was’n da so lustig, wegen ihnen warte ich hier seit Eeeewigkeiten im Regen!“ Moment, was will’n die? Ich hab doch vor drei Minuten erst angefangen. Egal, bei der habe ich eh verkackt, also schraube ich mit an ihrem Beleidigtkeitsgrad: „issja keen Problem, haick doch jerne jemacht!“
Die ersten zwei Runden drehe ich an den Endstellen gleich um und bin um 19.55 Uhr wieder pünktlich. Ich freue mich auf einen ruhigen Abend, denn ‚Krieg‘ ist auf den meisten Linien abends nur Freitag und Sonnabend, aber wir haben Donnerstag. Die meisten müssen am nächsten Morgen früh raus und ab 20 Uhr fährt man nur noch die Straßen hoch und runter. Da kann ich an den Endstellen mein neues Buch anfangen.
Leider fällt mir seit Marzahn einer auf, der sich jede Haltestelle in die Lichtschranke stellt. Vier mal habe ich schon über mein Mikro durchgesagt: „Bitte Türen freimachen“, was sonst nur im Berufsverkehr nötig ist – wenn der Bus wirklich voll besetzt ist. Stänkerfritze, so geht das nicht weiter. Ich gebe seinem Gesuch nach einem Gespräch nach und gehe außen zur letzten Tür.
Ich frage ihn auf doof, wann wir weiter fahren. Er antwortet: „Weeß ik nich, IK hab Zeit. Musste ma richtich fahrn lernen!“ Aha. Ich stelle klar, dass ich erst recht Zeit habe, ich bin nämlich schon auf der Arbeit, und mein Dienst geht bis 1.15 Uhr morgen früh. Von mir aus können wir bis da hin hier stehen bleiben. Nun zieht er sein gefühltes Ass aus dem Ärmel: „Ik hab ’ne Monatskarte.“ Aha zum zweiten. „Ein großes Hurra auf Dich! Mit dem Kauf stimmste den Beförderungsbedingungen zu. Da steht, dass Leute von der Beförderung ausgeschlossen werden, die den Betriebsablauf stören“ – ich male Gänsefüßchen in die Luft – „und genau das machste hier“.
„Na versuch doch, mich raus zu schmeißen, Määäädchen!“ Naaah, wegen solchen Eumeln drängt sich mir doch manchmal die Notwendigkeit des Feminismus auf, mit dem ich eigentlich wenig zutun zu haben glaube. Was für ein brilliantes Geistesleben muss man haben um zu denken, man hätte das Recht, mich hier vorzuführen? Den Gefallen, ihn anzufassen tue ich ihm nicht. „Nööö, dafür gibts den einseinsnull – Begleitservice, und bis die hier sind, warten wir. Ik krieg das als Einzige auch noch bezahlt“ grinse ich. Gut dass keiner weiß, wie ich hier blöffe. Bei den Einseinsnullern hat nämlich popeliger Kleinkrieg in den Öffis allerletzte Priorität.
Aber langsam wirds unruhig in meinem Bus. Zwei Malergesellen sind aufgestanden, die werden mit dem so schnell fertig, wie Neo mit den Bösewichten in der Matrix. Keiner weiß genau wie, aber alles im Galopp. Keine 60 Sekunden später sitze ich wieder auf meinem Stuhl, bedanke mich bei den Jungs und die Türen sind zu, Weiterfahrt ohne den Türkobold. Am S – Bahnhof Louis-Lewin Straße quatscht mich Thorsten durchs Fenster an: Nächste Haltestelle steht einer, den er rausgeschmissenen hat. Soll den nich mitnehmen, Stresser. Sind die denn heute alle auf dem 95er verabredet? Wenn Thorsten, die Frohnatur das sagt, ist der Typ wirklich von der unbequemen Sorte. Ein Glück will dort niemand aussteigen. Ich sehe den Störenfried, aber mein Fuß bewegt sich nicht mal zur Bremse. Dafür seine Faust in die Luft. Auf der Runde zurück hockt der immernoch im Häuschen, der hat aber Ausdauer. Ich sage meinem Hintermann das gleiche wie Thorsten mir eben. Der Typ wird heute Nacht wohl Wandertag haben. Das liebe ich am Spätdienst, alle Kollegen kennen sich und wer uns doof kommt, kann abtreten. Solche Querulanten beschweren sich im Nachhinein nie, denn man kann sich eben auch nur ordentlich daneben benehmen wenn man genau weiß, DASS man es tut.
Zurück in Marzahn, jetzt habe ich aber Kloschüsseldrang. Ab jetzt gibt’s 20 Minuten Wende und so kann ich noch eine rauchen und mit meinen Kollegen den bisherigen Abend auswerten. Meiner war anscheinend bisher der spannendste. Der Bordrechner piept. Abfahrt. Aber der Anlasser macht keinen Mucks. Komisch, bisher war die Hütte doch gut. Ich gucke, ob der Gang raus ist, mache beim dritten Startversuch alle Verbraucher aus, vor dem vierten gucke ich, ob die Tankklappe und die Motorklappe vielleicht nicht richtig schließen, aber der Bus versucht nicht mal zu orgeln. Also einmal Hauptschalter aus und mindestens noch mal fünf Minuten warten, so ist das eben bei 13 Jahre alten Bussen. Einer der Wartenden ist mutig genug, um von der Haltestelle zu uns in die Wendeschleife zu spazieren: „Was könnt ihr eigentlich bei der BVG, nur Kaffee saufen und labern, so ein Judenverein!“ Ich bin über so einen Ton erstaunt, schließlich würde ich alles andere lieber tun, als hier rumzustehen und über meine Arbeitsmoral zu diskutieren. Außerdem wollte ich doch Buch lesen, das wird drüben in Mahlsdorf jetzt wieder nichts. Bevor ich irgendwas Unvorsichtiges sagen kann, antwortet ihm Franky, der neben mir steht: „na wat fährsten Du ooch mit ’so nem Judenverein‘? Kannsta keene Taxe leisten? Die Bude hier is hin, siehste doch!“ Franky ist zwei Meter groß und murmelt in Stimmlage Bass, das schüchtert den Emporkömmling ausreichend ein. Nach 20 Minuten bekomme ich einen Wechselwagen, eine halbe Runde entfällt und wenigstens die letzten zwei Runden kann ich mich endlich meinem Buch widmen.
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