Eichsfeld, 2005

Das Erste, was mir der Meister in der Werkstatt gezeigt hat, war Reifen nachschneiden: Einspannen, Steine aus dem Profil pulen, Profilkennung ablesen, das entsprechende Messer einsetzen und Feuer frei, Marianne! Sieht aus, als würde er in Zeitlupe Boogie tanzen und Schwupp-schwupp, nach einer Viertelstunde ist er fertig. Das ist mit Sicherheit besser als das, was ich in der ersten Woche durfte: Halle scheuern. Dicker Arsch mit Furz, bin ich hier die Putzfrau, oder was? Ich wollte zu den Schlossern!

Er zeigt auf zwölf weitere Reifen: „Wennde die ferdsch hast, kannste heime!“
Astrein! Da kann ich noch zu Mario fahren und mit ihm das Thema Fortpflanzung vertiefen. Das wird unser Nachmittag!

Zum Feierabend sind sechs Reifen geschafft, mehr Messer versengt als mir erlaubt waren und mein Liebesleben kann ich auch vergessen. Geschweige denn, mir eine Stulle zum Abendbrot schmieren: Meine Hände sind ein einziger purpurfarben überhauchter Krampf. Langsam wird mir klar, weshalb die Unterarme der Gesellen mit meinen Oberschenkeln mithalten könnten. Und wieso ich von ihnen am ersten Tag so argwöhnisch begutachtet wurde.

Ein halbes Jahr später konnte ich beim Radmuttern festziehen einen ganzen Bus schwanken lassen, aber Muskeln wie die anderen bekam ich nicht. Dafür kannte ich bei jeder Baureihe die Lage der Schmiernippel und fand sie selbst im schneeverklebten Radkasten. Eigentlich wollte ich die Busse viel lieber fahren, es haperte einzig, weil man dazu 21 sein musste. Geschadet hat mir die Werkstatt aber keinesfalls. Von Zeit zu Zeit wird ein Bus mal krank oder zickig und da weiß ich mir meist zu helfen.