Was sich so in Berliner Bussen abspielt. Und in einer Busfahrerin.

Schlagwort: Busfahrer

Im Frühtau

rrrrrring!

2:15 Uhr. Omas Wecker schrillt im Flur, als wäre das jüngste Gericht angebrochen. Dass ich aufstehen muss, um den abzuschalten ist auch nötig. Sonst würde ich Sonntags um diese Zeit mein gemütliches Gebälk niemals verlassen. Noch betrachte ich meine Augenlider von innen, tappe in die Küche und schmeiße die Kaffeemaschine an. Du schwarzes Gold! Würde der Schichtdienst ohne Dich überhaupt exsistieren? Am Fenster schlürfe ich den Treibstoff und rauche die erste Zigarette. Draußen grölen welche, für die noch Samstag Nacht ist. Mit der Sorte wird sich mein Bus nachher auch füllen. Um kurz vor 4.00 Uhr komme ich auf den Betriebshof geradelt. Selbst die Rangierer – Bude, wo unsere Busse ausgegeben werden, ist noch dunkel. Ich komme durch die Tür und rufe: „Tinchen kann nich schlaaafen, wer noo-hoooch?“ Die Bildschirme strahlen einsam vor sich hin, aus dem Hinterzimmer kommt Matze, stellt mir einen Kaffee hin und gibt mir meine Schlüssel. Keine Kollegen zum quatschen da, und Matze verschwindet auch wieder. Werktags ist hier um die Zeit schon Hochbetrieb.

Als erstes habe ich eine Runde Nachtwagen. Einmal vom Alex bis raus zum Flughafen. Bis ich dort ankomme, klappere ich erst mal ein paar Clubs ab, die Nachtschwärmer einsammeln. Auf dieser Tour schalte ich im Fahrgastraum die Heizung aus. Dabei bin ich überhaupt nicht gehässig. Ich möchte nur nicht unten am Flughafen 27 schlummernde Gestalten an Bord haben, die in behaglicher Wärme ihren Glimmer ausschlafen. Das sollen sie mal schön zuhause machen. Das sind Erfahrungen, die man als Busfahrer nur einmal macht und dann sucht man nach Lösungen. Klappt heute auch ganz gut, bis zum Flughafen wollen nur zwei, die wie ich Schicht haben.

Auf dem Rückweg geht’s auf dem Adlergestell bis Schöneweide und ab da schildere ich meinen Bus zu einer Tageslinie um. Kurz vorm S-Bahnhof Schöneweide schwenke ich vorsorglich auf die Mittelspur. Denn dort am Straßenrand ist der „Eisenbahner“. Das ist eine Kneipe, in die ich nicht mal mit gezogenem Colt reingehen würde. Gerade wird sich wieder zünftig abgewaschen. Wo die Fahrbahn beginnt, ist dann nebensächlich. Einen großen Bogen um die Meute und weiter gehts Richtung Innenstadt. So ruhig wie Sonntag morgens um sechs Uhr ist es hier sonst nie. Die Erinnerung, dass ich mich nicht in einer heilen Welt befinde, sehe ich an der Falckensteinstraße: ein halbnackter Typ sucht auf allen vieren wie verrückt den Bürgersteig ab. Vermutlich aber nicht nach seinem Schlüpper, sondern nach Crackkrümeln, die er am Ende doch wieder nur beim Dealer bekommt.

In meiner Pause lerne ich einen neuen Kollegen kennen. Den habe ich schon ein paar mal flüchtig gesehen und er scheint ein lässiger Typ zu sein. Weil ich ihn mit anderen Kollegen spanisch sprechen hörte, taufte ich ihn „Miguel Sanchez“. Ich frage nach seinem richtigen Namen. Er sei Chilene, sein Vater wäre Deutscher und darum hieße er „Günther“. Mein Gesicht verformt sich zu einer Mischung aus Erstaunen und Schmunzeln. Er sagt, er glaubt nicht, dass er wie ‚Günther‘ aussieht. Keine Ahnung, wie er das meint, aber ich finde, für einen Günther ist er mindestens 20 Jahre zu jung. Günthers tragen Goldkettchen, karierte Kurzarmhemden und rauchen Pfeife. Zumindest meinen Vorurteilen entsprechend.

Bei der Ablösung zum zweiten Teil verdrehe ich meine Augen. Dieser Kollege hingegen ist so eine richtige Schreckschraube. Alles ist schonmal grundsätzlich scheiße und falsch bei dem. Selbst wenn er aus dem Urlaub zurückkommt, war da alles Mist. Unter Katastrophe macht er es nicht. Bei solchen Menschen frage ich mich immer, weshalb sie morgens überhaupt aufstehen. Er öffnet alle Türen und schnauzt die vorn einsteigenden Fahrgäste an: „Wir lösen hier ab, sehn’se das nicht!?“ Ich verklickere ihm, dass das jetzt meine Leute sind, und er die nicht gegen mich aufbringen soll. Das kann er gerne mit seinen Fahrgästen machen, wenn ihm so eine Stimmung im Bus gut tut. Ich hab hier lieber Freunde. Wenigstens hat er sich schonmal vom Sitz hoch geastet. Beim Aussteigen tottert er weiter, dass „ja hier alle machen, was sie wollen!“ Ja, natürlich. „Die Leute steigen in den Bus ein, was für ein Verbrechen“, antworte ich und hoffe, dass er die Ironie versteht. Bevor er noch irgendwelche Schlechtigkeiten loswerden kann, lasse ich die Türen klappern und rolle los. Noch anderthalb Runden bis zum Feierabend, dann gönne ich mir einen Mittagsschlaf. Die nächsten drei Tage habe ich frei und ich werde jede Sekunde genießen, in der ich zu absolut überhaupt nichts nütze bin.

Liebe nach Fahrplan

💛💛💛

Wieviele Kollegen ich tatsächlich Probe geritten habe, weiß nur ich allein. Konnte aber einer seine Klappe nicht halten, wurde auf dem Gehöft sofort ein Riesen – Skandal daraus gemacht, und das hab ich nie verstanden. Nicht mal, als ich eine von nur sieben Frauen in der Belegschaft war. Dass man sich im Fahrdienst verliebt ist das plausibelste überhaupt.

Wir verbringen acht bis zehn Stunden täglich bei der Arbeit, ganz zu schweigen von echt knappen Übergängen zwischen den Diensten und Frei, wenn der Großteil der Welt arbeiten geht. Die gängige Freizeitgestaltung muss man opfern, wenn man den Beruf wirklich liebt und ihn langfristig ausüben möchte. So manche Freundschaften und Beziehungen zerbrechen daran.

Außerdem kann man im Fahrdienst wunderbar beobachten, wie die anderen Kollegen so ticken. Wenns mal stressig wird, wer ist ne coole Sau und wer stimmt ein Klagelied an? Und Kollegen die einem nicht passen, kann man noch wunderbarer aus dem Weg gehen. Aus BVG – fernen Liebschaften weiß ich, dass man unsere täglichen Schwierigkeiten kaum jemandem rüberbringen kann, der nicht selbst Busfahrer ist. Darüber einen Witz machen – oft unmöglich, ohne zu erklären. Und dann ist es eben kein Witz mehr.

Eine Hierarchie, welche schwierig werden könnte, sollte man sich auf Dauer vielleicht doch nicht so geil finden, gibt’s zwischen uns auch nicht.

Also? Weil wir UNS lieben!

Machet jut, altet Jemäuer!

Pausenheim Schöneweide, 2021

Unser Pausenheim Schöneweide wird bald abgerissen.
Gefühlt verbrachte ich hier mehr Zeit als in meiner eigenen Bude.

Welches Theater man auf Strecke auch hatte – im Pausenheim SSW immer astreine Stimmung! Auch die Bimmel und Hof Britz gingen hier ein und aus, aber Stimmung kam immer von uns Schöneweidern.

Unvergessen auch das längst geschlossene Johannisthaler Stübel direkt nebenan. Morgens um 6 Uhr Bocki und Käffchen. Mit Feierabendbier wurde man – na logen – auch versorgt. Wie habe ich mich schon vor dem Dienst auf die Beleidigungen in der Blockpause gefreut, ein Wort gibt das andere und am Ende halten sich alle die Bäuche vor Lachen. Ich „feierte“ hier Weihnachten und Silvester.

Nicht zuletzt warf ich hier meinem Herzbewohner erste funkelnde Blicke zu, inklusive der unvermeidlichen heimlichen Knutscherei auf’m Klo.
Viele Kollegen von damals sind schon in Rente oder ganz von uns gegangen.

Nun muss also auch das Pausenheim der neuen Bimmel – Wegführung weichen. Ich hoffe, dass wir uns zumindest die Stimmung in unseren glorreichen Plastik – Containern erhalten.

Dschenghis Khan

Berlin-Schöneweide, Winter 2012

Sener fährt den Bus vor mir. Der hat ungefähr mit mir zusammen bei der BVG angefangen. Das ist ein Mensch der so lieb ist, dass ich ihn mir nicht ausdenken könnte. Nie schlecht gelaunt, bringt jeden Tag was zum Naschen für die Kollegen mit, wenn Du etwas brauchst, er kann das organisieren, für einen guten Preis. Ein super Typ durch und durch! Er stammt aus der Türkei, und ich würde behaupten, das sieht man ihm auch an. Nicht in jedem Stadtteil ist er so gern gesehen wie bei uns im Pausenheim. Er sagt, darum fährt er am liebsten in Neukölln und Kreuzberg. Bei uns hat er den Spitznamen „Bürgermeister von Neukölln“. In der Werbellinstraße kennt ihn jeder. Heute fahren wir beide in Köpenick.

Am Krankenhaus steigt ein älterer Herr ein und empört sich bei mir: „Sagense mal! Fahren denn bei ihnen jetzt schon die Kebapverkäufer? Kann ja wohl nicht wahr sein, ich hab extra auf den nächsten Bus gewartet!“
Was bist Du denn für eine Plinse denke ich, sage aber: „Selbst schuld, und hier fährt ’ne Frau! Heut is Minderheitentach! Wennde ’n deutschen Kerrel möchtest, musste bis übermorgen warten!“ mit gesenktem Kopf geht er nach hinten, vermutlich enttäuscht, dass ich in sein Klagelied nicht eingestimmt habe.

Noch einen Happen dööfer als der Typ bin nur ich, denn ich weiß Seners Namen aus der Zeitung. Uns hatte er sich von Anfang an als „Dschenghis“ vorgestellt und ich nahm das wie alle anderen so hin, begrüßte ihn so und dachte mir nichts dabei. Als ich Jahre später ein Interview mit ihm las, stand da aber: Sener Piskin. Meine erste Frage beim nächsten Treffen war klar. Seine Antwort: „Ach, die Deutschen können sich unsere Namen nie merken, wenn es nicht Ali oder Mohamed ist. Darum einfach Dschenghis, Dschinghis Khan kennt jeder in Deutschland, neue deutsche Welle!“ Ich glaub ich hab mich schon lange nicht mehr so durchschaubar gefühlt wie in diesem Moment. Würde mich nicht wundern, wenn noch immer viele Kollegen nicht wissen, wie er wirklich heißt.

Reifenschnitte

Eichsfeld, 2005

Das Erste, was mir der Meister in der Werkstatt gezeigt hat, war Reifen nachschneiden: Einspannen, Steine aus dem Profil pulen, Profilkennung ablesen, das entsprechende Messer einsetzen und Feuer frei, Marianne! Sieht aus, als würde er in Zeitlupe Boogie tanzen und Schwupp-schwupp, nach einer Viertelstunde ist er fertig. Das ist mit Sicherheit besser als das, was ich in der ersten Woche durfte: Halle scheuern. Dicker Arsch mit Furz, bin ich hier die Putzfrau, oder was? Ich wollte zu den Schlossern!

Er zeigt auf zwölf weitere Reifen: „Wennde die ferdsch hast, kannste heime!“
Astrein! Da kann ich noch zu Mario fahren und mit ihm das Thema Fortpflanzung vertiefen. Das wird unser Nachmittag!

Zum Feierabend sind sechs Reifen geschafft, mehr Messer versengt als mir erlaubt waren und mein Liebesleben kann ich auch vergessen. Geschweige denn, mir eine Stulle zum Abendbrot schmieren: Meine Hände sind ein einziger purpurfarben überhauchter Krampf. Langsam wird mir klar, weshalb die Unterarme der Gesellen mit meinen Oberschenkeln mithalten könnten. Und wieso ich von ihnen am ersten Tag so argwöhnisch begutachtet wurde.

Ein halbes Jahr später konnte ich beim Radmuttern festziehen einen ganzen Bus schwanken lassen, aber Muskeln wie die anderen bekam ich nicht. Dafür kannte ich bei jeder Baureihe die Lage der Schmiernippel und fand sie selbst im schneeverklebten Radkasten. Eigentlich wollte ich die Busse viel lieber fahren, es haperte einzig, weil man dazu 21 sein musste. Geschadet hat mir die Werkstatt aber keinesfalls. Von Zeit zu Zeit wird ein Bus mal krank oder zickig und da weiß ich mir meist zu helfen.

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