Was sich so in Berliner Bussen abspielt. Und in einer Busfahrerin.

Schlagwort: Berlin (Page 2 of 2)

Mysterious Sirius

Berlin-Altglienicke, Kosmosviertel

Wie verbringst Du Deine Pause an der Arbeit? Was Essen, eine rauchen, aufs Klo gehen? Ich auch, nur meistens schaut mir dabei jemand zu. Das sind die Fahrgäste, die auf der nächsten Fahrt bei mir mitfahren wollen. An fast jeder unserer Endhaltestellen ist das so und wenn man bereits zu spät ankommt, wird man als Fahrer immer interessanter.  Aber es gibt eine Forschungsstation, die das Leben der Busfahrer, wenn sie nicht fahren besonders gründlich untersucht. Das ist die Endhaltestelle Siriusstraße. Keiner von meinem Kollegen oder ich haben je verstanden, weshalb das so ist.

Hier stehen bei absolut jeder Pause Menschen. Obwohl der Vordermann vor einer Minute abgefahren ist, und man seine Rücklichter noch sieht. Obwohl dort nur ein Wohngebiet ist und man eigentlich als Anwohner irgendwann wissen müsste, wann der Bus fährt. Obwohl es Apps gibt, die inzwischen sogar bei Verspätung die tatsächliche Abfahrtszeit anzeigen. Und obwohl wir auf dieser Linie fast nie zu spät sind, weil sie durch ruhige Siedlungen fährt und es ausreichend Fahrzeit oben drauf gibt.

Natürlich ist es mir nicht angenehm, bei absolut jeder Lappalie begutachtet zu werden. Jemandem, der mich schonmal direkt vor meiner Scheibe beim Salatessen beobachtete, öffnete ich mal die Tür und bot ihm eine Gabel voll an. Aber irgendwann reichte mir auch Sarkasmus nicht, darum begann ich, dort in meinen 20 Minuten spazieren zu gehen. Die letzten Minuten vor der Abfahrt verbringe ich dann auf dem Parkplatz hinter der Haltestelle und beobachte die Beobachter. In drei Minuten ist Abfahrt, ja wo ist denn der Fahrer? Köpfe drehen sich, Hälse werden länger, mein Grinsen auf dem Parkplatz breiter. Es wird um den Bus herum geschlichen und durch die Frontscheibe gespäht. Meistens komme ich dann aus meiner Deckung und singe Westernhagens „Mach Dir keine Sorgen, es wird schon weitergehen“. Das kurioseste überhaupt ist aber, dass die meisten der Ausdauersitzer dann nur zwei Stationen weit fahren.

Spindlersfelder Sünde

Berlin-Spindlersfeld, 2010

Im Lottoladen am S – Bahnhof Spindlersfeld kennt man mich. Tagsüber haben wir dort mit dem 167er zwei Minuten Aufenthalt, und bis zur nächsten Haltestelle, die man bereits sehen kann, gibt’s noch mal zwei Minuten. Wie geschaffen, um sich einen dringend nötigen Kaffee zu besorgen, wenn nachts um zwei schon der Wecker klingelte. An der Endstelle im Köpenicker Wald ist nämlich keine Kaffee – Ausgabe. Wenn ich einfliege, wird er sogleich zubereitet, wie ich ihn möchte: klein, schwarz, aber im großen Becher, damit während der Fahrt nichts überschwappt. Alle anderen Kunden müssen dann kurz warten, ich muss schließlich weiter, vor der Tür orgelt meine Kutsche im Leerlauf. Das klappt mit den Jungs und Mädels da, ich mag die.Heute habe ich nachmittags den 167er. In Schöneweide steigt jemand zu, der fleißig einkaufen war: zwei große Beutel an den Schultern und einen Träger Mineralwasser. Kaum dass ich abgefahren bin, stöhnt er und ich kann auch erkennen, warum: die Folie ist gerissen. Um ihn herum kullern sechs Flaschen Selters, mit denen er nicht weiß, wohin. Ich frage, wo er aussteigt. Allende – Viertel. Ein Klacks, schnell in Spindlersfeld in den Lottoladen. Nein, heut keinen Kaffee, aber habter mal ne Tüte für mich? Ich erkläre kurz. Na klar, hamse. Beim Aussteigen bedankt sich der Einkäufer herzlich und ich freue mich, dass wenigstens einer mal gut von uns Busfahrern denkt. Da habe ich mich nicht verschätzt. In der Woche darauf bekomme ich einen Anruf von meinem Gruppenleiter. Der Mann bedankte sich schriftlich, oder wie das im BVG – Sprech heißt: „positive Fahrgasteingabe“.Zumindest denke ich das und glaube, gleich sagt mein Gruppenleiter mir was Nettes. Da bin ich schief gewickelt. Er sagt: Die ganze Situation könne sich ja nur zugetragen haben, weil ich gegen die Dienstanweisung verstoßen habe: „Beim Verlassen des Fahrzeuges ist der Motor abzustellen, dieses zu sichern und abzuschließen“. Da brauche ich keine Weiterbildung, das stimmt. Ich versuche es mit Relativierung: „aber überleg mal, der hat sich doch gefreut dass ihm einer hilft, wir müssen doch nicht auf Paragraphen rum reiten!“ Mein Vorgesetzter bleibt eisern. Mir ist schon klar, dass die Bezeichnung „Betriebsaufsicht“ bedeutet, dass die Verantwortlichen uns auf Verstöße hinweisen und bei Uneinsichtigkeit Konsequenzen walten lassen müssen. Aber komm schon! Der Bus war heile, trotz allem pünktlich und ein Mensch war kurz glücklich. Da steht die Firma doch gut da! Ich versuche es anders: „Schreib mir eine Abmahnung. Aber dann möchte ich bitte schwarz auf weiß: weil ich jemandem GEHOLFEN habe“. Nein, das passiert nicht. Er kommt mir entgegen und ich erhalte „eine mündliche Ermahnung in schriftlicher Form“, dieses mündliche Papier kam allerdings bei mir bis heute nicht an.Seitdem bitte ich meine Fahrgäste, sich nicht allzu detailgetreu zu bedanken. Aber ich werde auch in Zukunft niemandem meine Hilfe verweigern, wenn sie mich so wenig kostet./ps. Gewiefte Ermittler erkennen anhand der Liniennummer, wie lange das her ist. Der Gruppenleiter ist längst im Ruhestand. Am besten bewertet ihr eure Vorgesetzten nach euren eigenen Erfahrungen.

Judith

Sommer 2018

Die Auswahlkriterien dieser neuen Dating App klingen vielversprechend. Zwar schwebt trotzdem über allem „ich hätte gerne jemanden“ im Raum und mir ist das eigentlich zu bedürftig. Aber im falsche Namen ausdenken bin ich ganz gut und heiße jetzt Judith. Das klingt so souverän wie ich niemals sein werde, und schreckt bestimmt schonmal ab. Nachdem ich 355 Fragen beantwortet habe, wie pervers ich im Bett bin und welche politischen Fehlentwicklungen ich am wenigsten schlimm finde, wird mir genau eine Person vorgeschlagen, und er heißt Danilo. Ernsthaft? Ich bin hetero in Berlin und das ist alles? EIN Typ und der heißt auch noch SO? Nach 2 Wochen hab ich eine Nachichtenanfrage und öffne die App wieder. Sie ist von Danilo. Hupps, der hat wohl so ausgefallene Sachen angeklickt, dass ich auch das einzige Profil war, das ihm vorgeschlagen wurde. Vielleicht ist „Danilo“ ja auch nur eine gräuliche Tarnung. Dann müsste ich aber schon Tessa heißen, damit das Sinn ergibt. Ich habe frei und wir verabreden uns am Ostkreuz. Judiths Sicherheitsvorkehrungen: Wintermütze, Sonnenbrille, Halstuch, und eine Jacke in rot, denn Danilo habe ich offene Haare und schwarz angekündigt. Gut, dass ich das schon vor Jahren auf die harte Tour lernen musste. Ich erkenne ihn nägelkauend an einer Laterne stehen und weiß sofort, warum er nur Bilder von seinem Gesicht hochgeladen hat. Was für ein Pümpel. Umkehr, das Geld fürs Café versaufe ich lieber am See in der Hängematte mit mir selbst. Vielleicht reichen ja acht große Bier um mir einzugestehen, dass ich eh nur an Steffen denke, auch wenn der vergeben ist. Auf der Rückfahrt überlege ich noch, welche fadenscheinige Entschuldigung ich ihm auftische, lösche die App aber gleich ganz.

Joppenzauber

Berlin, 2009

Als ich vom Tochterunternehmen zur BVG wechselte, war das faktisch kein großer Unterschied: gleiches Gehalt, die selben Busse. Andere Linien durfte ich dann fahren, den 100er zum Beispiel. Und ich bekam neue Klamotten: diese Uniform, die in Berlin vermutlich jeder kennt. Wir Fahrer vom Tochterunternehmen waren die „Rotjacken“, hatten in manchen Kantinen alberner Weise separate Tische und standen beim Quatschen auf dem Hof auch meistens für uns. Ein bisschen zweite-Klasse-Gefühl war das schon. Nun endlich hatte ich meine blaue Jacke, mit Kronen – Teddy auf dem Ärmel und trug sie anfangs mit einer gewissen Euphorie. Nicht, dass ich einen Fetisch für die Buchstaben B, V und G hätte, sondern: Ab jetzt grüßt mich jeder Bus – und Bimmelkutscher. Ja, sogar die „Tunnelrutscher“ wie die U-Bahn – Fahrer von der „Oberfläche“ liebevoll genannt werden.
Laufe ich um 2.41 Uhr zwischen zwei Haltestellen, hält der Nachtwagen direkt vor meiner Nase. Ohne dass ich danach gefragt hätte. Sogar Kollegen mit Auto nehmen mich des nachtens mit zum Hof. Na klar, Dienstkutte! Wir gehören alle zusammen. Es ist, als würde plötzlich halb Berlin mich kennen, dabei bin ich doch nur die kleine Tine aus Leinefelde.

Dass man in dieser Garderobe nach einer Auskunft gefragt wird, ist vorprogrammiert und stört mich überhaupt nicht. Auf dem Weg zur Arbeit weiß ich nicht, welche Störungen es gerade vor Ort gibt – erst recht nicht bei der S-Bahn – das erklärte ich bestimmt schon tausenden Menschen. Oft stecke ich den Ärger darüber trotzdem ein, Jacke sei dank. Im Sommer trage ich Bluse und Weste, da werde ich beim Spazieren gehen in der Pause von Cafébesuchern schon mal für die Kellnerin gehalten. „Noch ’ne Cola willste? Ik hab nur Fahrscheine im Angebot!“ sage ich dann und zeige auf mein kleines gelbes Quadrat.

Was ich allerdings nie ganz verstehen werde, ist die magische Wirkung dieser Jacke (oder aller anderen Kleidungsstücke mit den drei Buchstaben) auf Jugendliche. In einem leeren S-Bahn – Waggon werden Inhaber einer Hampelrap – Bluetoothbox und ihre Gesinnungsgenossen Dich erkennen. Und sich trotz freier Platzwahl zielgenau neben Dich pflanzen. Fahre ich privat S – Bahn, passiert mir das nie. Fahre ich mit dem Rad, wird die Jacke selbst im Suff erkannt und trotz 30 Kilometern Bürgersteig auf den Radweg gelaufen: „Eyyy, fährste uns nach hause?“ Irgend ein Magnet muss da in der Jacke sein. Ein bisschen angeben und provozieren ohne Risiko? Nimm Dir eine BVG Uniform! War der Auftritt der unbehaarten Sprösslinge halbwegs originell, applaudiere ich sogar in Zeitlupe.

Wird allerdings das Lied „Fick die BVG“ angestimmt, kann ich auswendig mitsingen. Da werden die dann stutzig. „Ja wattenwattenwatten? Haick allet von euch jelernt!“

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