
Sener fährt den Bus vor mir. Der hat ungefähr mit mir zusammen bei der BVG angefangen. Das ist ein Mensch der so lieb ist, dass ich ihn mir nicht ausdenken könnte. Nie schlecht gelaunt, bringt jeden Tag was zum Naschen für die Kollegen mit, wenn Du etwas brauchst, er kann das organisieren, für einen guten Preis. Ein super Typ durch und durch! Er stammt aus der Türkei, und ich würde behaupten, das sieht man ihm auch an. Nicht in jedem Stadtteil ist er so gern gesehen wie bei uns im Pausenheim. Er sagt, darum fährt er am liebsten in Neukölln und Kreuzberg. Bei uns hat er den Spitznamen „Bürgermeister von Neukölln“. In der Werbellinstraße kennt ihn jeder. Heute fahren wir beide in Köpenick.
Am Krankenhaus steigt ein älterer Herr ein und empört sich bei mir: „Sagense mal! Fahren denn bei ihnen jetzt schon die Kebapverkäufer? Kann ja wohl nicht wahr sein, ich hab extra auf den nächsten Bus gewartet!“
Was bist Du denn für eine Plinse denke ich, sage aber: „Selbst schuld, und hier fährt ’ne Frau! Heut is Minderheitentach! Wennde ’n deutschen Kerrel möchtest, musste bis übermorgen warten!“ mit gesenktem Kopf geht er nach hinten, vermutlich enttäuscht, dass ich in sein Klagelied nicht eingestimmt habe.
Noch einen Happen dööfer als der Typ bin nur ich, denn ich weiß Seners Namen aus der Zeitung. Uns hatte er sich von Anfang an als „Dschenghis“ vorgestellt und ich nahm das wie alle anderen so hin, begrüßte ihn so und dachte mir nichts dabei. Als ich Jahre später ein Interview mit ihm las, stand da aber: Sener Piskin. Meine erste Frage beim nächsten Treffen war klar. Seine Antwort: „Ach, die Deutschen können sich unsere Namen nie merken, wenn es nicht Ali oder Mohamed ist. Darum einfach Dschenghis, Dschinghis Khan kennt jeder in Deutschland, neue deutsche Welle!“ Ich glaub ich hab mich schon lange nicht mehr so durchschaubar gefühlt wie in diesem Moment. Würde mich nicht wundern, wenn noch immer viele Kollegen nicht wissen, wie er wirklich heißt.